Dies ist das Kopfbild für die Website Nerdhalla. Es wird dynamisch erzeugt und sieht auf je nach Seite anders aus.
Menu
Home Saga Vision Deutschland Philosophie Bibliothek Cartoons Spiele Service Links

Das klitzekleine Problem mit der Marktwirtschaft

Die Theorie der Marktwirtschaft wäre gar nicht so dumm - wenn nur ein kleines (Sarkasmus-Alarm!) Detail anders wäre. Auch auf die Gefahr, die Spannung zu verderben: Es geht wieder mal um Bildung.

05.11.2022

Der freie Markt soll es regeln. Das freie Spiel der egoistischen Interessen soll für wirtschaftliches Gleichgewicht, Fortschritt und irgendwann Wohlstand für Alle sorgen. So haben Theoretiker der freien Martkwirtschaft es sich vor langer Zeit überlegt und so denken viele politische Entscheiderinnen heute noch.

Der zentrale Begriff "Markt" ist dabei deutlich älter als die modernen marktwirtschaftlichen Theorien. Seit Jahrtausenden treffen Menschen sich an vereinbarten Orten, um Güter und Dienstleistungen auszutauschen. Im Mittelalter entwickelten sich Märkte, die teilweise vermutlich heutigen Wochenmärkten ähnelten. Diese waren dabei keineswegs immer frei. Auch wenn mitunter Märkte von den Händlern selbst organisiert wurden, nahmen im Laufe der Zeit viele Fürsten für sich das Recht in Anspruch, den Markt zu organisieren, zu besteuern, Qualitätskontrollen durchzuführen und mehr.(Igel 2014) Ob das uralte Markt-Konzept ein geeigneter Namensgeber für relative junge Wirtschaftstheorien ist, erscheint also fraglich.

Ein Aspekt war auf früheren Märkten aber anders und eignet sich in der Tat als Vorbild für die Idee, das freie egoistische Handeln der Marktteilnehmer werde für das beste Gesamtergebnis sorgen: Früher waren die Marktteilnehmer einander ähnlicher. Einzelne Bauern und Händler, die nach heutigem Verständnis kleine bis mittelständige Familienunternehmen waren, boten auf dem Markt ihre Waren an. Die Konsumenten waren ebenfalls vielfach produzierende Unternehmer, da es im Mittelalter noch keine breite Mittelschicht aus Angestellten und Beamten gab. Wer auf dem Markt Lebensmittel von den Bauern kaufte, war selbst Schreiner, Schuster, Schmied, Käufer, Gerber, Apotheker, Töpfer, Steinmetz oder Angehöriger einer anderen handwerklichen Zunft. Fast jeder hatte also etwas anzubieten, das andere für das tägliche Leben benötigten. Die meisten waren also "frei" in dem Sinne, dass sie dank ihrer Verfügung über Produktionsmittel und Güter Verhandlungsmacht hatten.

Heute dagegen sieht der Markt so aus, dass auf der einen Seite vergleichsweise wenige große Unternehmen stehen, die Angebote für Millionen Verbraucherinnen machen. Diese Verbraucherinnen haben mehrheitlich nichts, was sie in eigener Verantwortung produzieren, sondern verdienen ihr Geld als Angestellte. Darüber hinaus arbeiten sehr viele von ihnen im Dienstleistungsbereich als Juristen, Programmierer, Buchhalter, Journalisten, Manager und Berater. Ihre Kopfarbeit wird hoch bewertet und relativ gut bezahlt, so dass sie als Marktteilnehmer einigermaßen mächtig sind - solange die Gesellschaft auf hohem Niveau stabil bleibt. Sie produzieren aber nichts, was kurzfristig dringend gebraucht wird. Ihre Arbeit ist verglichen mit der von Bauern und Handwerken also verzichtbar. In einer echten Krise hätten sie nichts anzubieten und verlören deshalb ihre Macht, am Markt zu verhandeln - ergo ihre Freiheit. Viele andere Angestellte arbeiten zwar in der Industrie oder im Einzelhandel, also auf der Seite des Marktes, die benötigte Waren herstellt und anbietet. In ihrer Position als einfache Angestellte großer Konzerne sind sie aber meist ohne nennenswerten eigenen Einfluss auf dem Markt - also auch nicht frei.

Am wenigsten in der Lage, frei am Markt teilzunehmen sind wenig Gebildete, die sich als einfache Angestellte verdingen oder sogar arbeitslos sind. Es ist offensichtlich, dass man es als armes und ungebildetes Mitglied der Unterschicht (um hier einmal harte aber klare Worte zu nutzen) schwer hat, die eigenen Interessen wahrzunehmen - und seien es auch nur die eigenen egoistischen Interessen.

Mangelnde Bildung ist aber nicht nur ein Problem der Unterschicht ("Unterschicht" vor allem im Sinne des prekären Milieus und von Teilen des traditionellen Milieus). (Sinus Institut) Auch formal gut gebildete und über ein auskömmliches Einkommen verfügende Individuen sind offensichtlich überfordert damit, als Marktteilnehmerinnen rationale, ihren Interessen dienende Entscheidungen zu treffen. Deshalb ist ihr Handeln am Markt legal gesehen zwar frei - aber aufgrund von Optionen, die offenbar nicht erkannt und de facto nicht wahrgenommen werden, ist der Markt als soziales System nicht frei, um die Beiträge zum gesellschaftlichen Fortschritt zu leisten, die seine Theoretiker von ihm erwarten.

Die Mittelschicht trifft heute massenhaft Marktentscheidungen, die nach mehreren Maßstäben falsch sind. Jährliche Urlaubsreisen per Flugzeug, mehrere großformatige Fernseher pro Haushalt, SUVs, zu teure Häuser, wöchtentliche Restaurant- und Kneipenbesuche, regelmäßige Kurzstrecken-Autofahrten, häufig wechselnde teure Smartphones, Mode-Shopping als Zeitvertreib, Tabakkonsum, zuviel Fleischkonsum, zuviel Alkoholkonsum, zuviel Konsum allgemein.

Der heute vielleicht offensichtlichste Fehler ist, dass der massenhafte Konsum die Klimakatastrophe vorantreibt anstatt sie abzubremsen. Selbst Leute ohne Kinder, die sich in der Mitte ihrer Lebenserwartung befinden, laufen Gefahr, dass der Klimawandel ihre Lebensgrundlage zerstört. Wer heute kleine Kinder hat, kann fast sicher sein, dass diese unter erheblich härteren Bedingungen leben werden als ihre Eltern, wenn der Klimawandel ungebremst voranschreitet. Insbesondere Eltern, die heute noch ungebremst im Stil der 1990er Jahre konsumieren, handeln unethisch oder uninformiert.

Ein weiterer Fehler ist die Zeitverschwendung, die mit dem ausufernden Konsum einhergeht. Die Abende mit Fernsehen, die Samstage mit Shopping und die Sonntage mit Brunchen zu verbringen, ist ein tristes und unproduktives Leben. Mindestens die Hälfte der Freizeit, die eine durchschnittliche Deutsche hat, sollte für produktive Dinge verwendet werden. Wer neben Beruf, Haushalt, Kindern und Schlaf nur eine Stunde Freizeit am Tag hat, hat davon immerhin sieben pro Woche. Wenn davon dreieinhalb genutzt werden, um beispielsweise zu lernen, sich politisch zu engagieren oder hobbymäßig etwas zu produzieren, dann entstehen sehr schnell große Dinge in diesem Land.

Das konsumbasierte, hedonistische und unproduktive Freizeitverhalten ist also falsch gemäß dem kategorischen Imperativ. Je mehr Personen sich so verhalten, desto schlechter ist es für die Gesellschaft. Die Fernsehgucker und Playstationspieler verlassen sich darauf, dass Kommunalpolitikerinnen und Feuerwehrleute die Gesellschaft schon am Laufen halten werden. Die fortbildungsunwilligen Angestellten verlassen sich darauf, dass leitende Angestellte und Unternehmer mit ihrem hohen persönlichen Einsatz schon für Fortschritt sorgen werden.

Das konsumbasierte, hedonistische und unproduktive Freizeitverhalten ist auch ökonomisch falsch. Bildung und freiwilliges soziales oder politisches Engagement sind unschlagbar billig. Mit einem guten Sachbuch für zwanzig bis fünfzig Euro kann man sich wochenlang beschäftigen - während man zwanzig bis fünfzig Euro an an einem einzigen Abend auf der städtischen Amüsiermeile los ist. Soziales Engagement in einer formlos organisierten Gruppe ist sogar komplett kostenlos - und man lernt dabei obendrein Dinge, die den eigenen Wert auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.

Das offensichtliche Problem mit sozialem Engagement, produktiven Hobbys und Weiterbildung, die wir von Nerdhalla als Freizeitbeschäftigungen empfehlen, ist natürlich die Abwehrhaltung, die Viele zunächst einnehmen. "Laangweilig!" schallt es im Chor aus allen deutschen Landen. Aber, liebe Landsleute, denkt doch mal einen Moment nach. Woher wollt ihr wissen, dass es langweilig ist, wenn ihr es nicht ernsthaft ausprobiert? Wie viele Dinge, die Millionen Menschen völlig selbstverständlich und gerne tun, waren anfangs unangenehm? Das erste Glas Alkohol schmeckt den Wenigsten, von der ersten Zigarette ganz zu schweigen. Trotzdem gibt es Millionen Trinker und Raucher, die auf diese ungesunden Genüsse nicht mehr verzichten wollen. Das erste Mal Sex erleben Viele als peinlich und enttäuschend, und trotzdem hören sie damit nicht auf. Die ersten Praxisstunden in der Fahrschule sind für Manche ein aufwühlendes, gar beängstigendes Erlebnis - und trotzdem werden aus diesen Leuten später routinierte Autofahrer. Und geben Kinder etwa das Laufen oder Radfahren auf, nur weil die ersten Versuche in Frustration enden?

Die freie Marktwirtschaft wäre also kein schlechtes System, wenn die große Mehrheit der Menschen unter ökonomischen und ethischen Gesichtspunkten vernünftige Entscheidungen träfe. Und um diesen Zustand zu erreichen, ist wieder einmal Bildung, Bildung, Bildung gefragt. Anwendung der Grundrechenarten auf das Thema "Geld", ein bisschen wissenschaftliches Grundwissen, und grundlegendes Verständnis der psychologischen Mechanismen, denen die eigenen Emotionen folgen - viel mehr ist gar nicht nötig, um aus Millionen passiven, leicht manipulierbaren Konsumentinnen freie Marktteilnehmer zu machen.

Also: Ran an die Bücher!


Quellen:



zurück zu den Sagakapiteln



FAQ
Über Uns
Datenschutz
Impressum
Kontakt