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Arbeitszeit versus Arbeitsleistung

Arbeitszeiterfassung ist nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts Pflicht. Wir werfen einen genaueren Blick darauf, was mithilfe lückenlos dokumentierter Arbeitszeit eigentlich gemessen wird - und was nicht.

27.05.2023

Nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2019 und des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2022 herrscht nun die einhellige Auffassung, dass die Arbeitszeit von Angestellten durchweg dokumentiert werden muss. Nachdem nicht wenige private und öffentliche Organisationen bereits das Regime der Vertrauensarbeitszeit eingeführt hatten, sollen nun also per höchstrichterlichen Beschluss die Arbeitszeitkarten, Stechuhren und ihre elektronischen Pendants zurückkehren. Wenn es nach einem Gesetzesentwurf des Bundesarbeitsministerium geht, wird sogar die elektronische Erfassung zur Pflicht.

Wir Nerds sind natürlich immer Fans von Messen und Statistik. Aber da Messen und Rechnen nun einmal Ressourcen bindet, muss unter praktischen Gesichtspunkten schon gefragt werden, welche Daten mit welchem Erkenntnisinteresse erhoben werden.

Die Richterinnen hatten bei ihren Urteilen offensichtlich den Schutz der Arbeitnehmer im Blick. Tägliche Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten sollen überwacht und eingehalten werden. Dies ist ein absolut sinnvolles Anliegen. Es bietet eine minimale Sicherheit gegen körperliche Überlastung. Gerade für zum Beispiel Fabrikarbeiter, Kassiererinnen, Bauarbeiter und Pflegerinnen dürfte das sehr relevant sein. Dagegen, dass engagierte Mitarbeiter in einem anspruchsvollen Beruf - zum Beispiel Pflegekräfte und IT-Admins in einer wegen Personalmangels unterbesetzten Schicht - auch psychisch darunter leiden, wenn sie ihre Aufgaben in der regulären Arbeitszeit nicht erledigt kriegen, kann die beste Arbeitszeitregelung wenig ausrichten.

Aber wir wollen nun einen Blick darauf werfen, was hier eigentlich gemessen wird und welche Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen: Es wird gemessen, wie lange jemand sich am Arbeitsplatz aufgehalten hat - exakt dies und nicht mehr. Aus dieser nackten Zahl mit der Einheit Stunden lassen sich ein paar Schlüsse ziehen. War jemand zum Beispiel für neun Stunden auf dem Firmengelände, konnte er in jener Zeit vieles NICHT tun. Er konnte zum Beispiel nicht einkaufen, nicht seinen Rasen mähen, nicht seiner Familie nahe sein (es sei denn, die ganze Familie arbeitet am selben Ort) und normalerweise auch nicht duschen und nicht schlafen.

Es sind also gewisse Aussagen über die Lebenssituation des Berufstätigen möglich. Zum Thema seiner Arbeit dagegen liefert die Arbeitszeitmessung kaum weitere Fakten. In sehr speziellen Situationen lassen sich eventuell weitere Erkenntnisse gewinnen, wenn die dokumentierte Arbeitszeit geschickt zu anderen Variablen in Beziehung gesetzt wird. Wenn zum Beispiel ein Betrieb, dessen Abläufe ohne Zweifel hocheffizient und dessen Beschäftigte ohne Zweifel sehr engagiert sind, ein gutes Ergebnis erzielt - dann kann die Betriebsleitung aus ehrlich dokumentierter Arbeitszeit ablesen, ob die Personaldecke ausreicht oder ob das gute Ergebnis möglicherweise nur durch erhebliche Mehrarbeit möglichgemacht wird.

Wir erfahren aber zum Beispiel nicht, ob der fragliche Mensch bei seiner Arbeit viel produziert, intensiv nachgedacht oder strategisch wirksam gemanagt hat. Wir erfahren nicht, ob er überhaupt etwas getan hat außer am Schreibtisch zu sitzen und auf sein E-Mail-Postfach zu starren oder von einer ergebnislosen Besprechung zur nächsten zu hetzen. Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, ob er ein Pfeiler der Gemeinschaft oder Inhaber eines Bullshit-Jobs ist. Natürlich erfahren wir auch nicht, wie es ihm und seinen Mitmenschen dabei gegangen ist. War er froh, zur Arbeit zu kommen? War er froh, als er wieder gehen durfte? Hat er sich wichtig oder wie ein austauschbares Zahnrädchen gefühlt? Haben die Kolleginnen gerne mit ihm zusammengearbeitet? Die Tatsache, dass er sich neun Stunden am Arbeitsplatz aufgehalten hat, beantwortet all diese Fragen nicht.

Die Arbeitszeitmessung ist also nur relevant für Menschen, die eines der zwei folgenden Probleme haben: Sie mögen ihre Arbeit nicht und wollen sicherstellen, keine Stunde mehr als nötig damit zu verbringen. Oder sie haben Schwierigkeiten, Arbeit und Privatleben zu vereinen - egal ob Horrorjob oder Traumjob.

Das Problem der ungeliebten Erwerbsarbeit ist ein großes Problem, dass wir dringend lösen müssen. Es ist eine Katastrophe, wenn ein Mensch 40 Stunden pro Woche unglücklich verbringt. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben hat Deutschland noch großes Verbesserungspotential.

Aber nehmen wir an, der beispielhafte Arbeitnehmer dieses Textes habe einen erfüllenden Job - einen Beruf im besten Sinne des Wortes - gefunden und könne diesen ohne größere Probleme mit Familienleben und anderen Verpflichtungen vereinbaren. Dann möchte er in diesem Beruf nicht nur auf sein E-Mail-Postfach starren und von einer ergebnislosen Besprechung zur nächsten hetzen, sondern im Gegenteil produktiv sein und Ergebnisse erzielen. Diesem Menschen stellt sich nicht primär die Frage, wie viel Zeit er am Arbeitsplatz verbringt, sondern wie er sie verbringt. Wie lässt sich das messen?

Die Lösung ist - zumindest für Büroarbeiter - eine Art Arbeitstagebuch. Wer aufschreibt, was er jeden Tag von wann bis wann bei der Arbeit tut, kann objektiv beurteilen, wie viel Zeit er zum Beispiel mit Besprechungen verbringt. Außerdem lässt sich zu jedem Eintrag im Arbeitstagebuch festhalten, wie man selbst die Ergebnisse einschätzt. Wurde Gutes geleistet? Wurde viel geleistet? Mit Hilfe eines solchen Journals kann man sich selbst beobachten und über das berüchtigte "Bauchgefühl" hinaus sagen, wie viel Zeit man an einem achtstüdindigen Arbeitstag mit produktiven Tätigkeiten verbracht hat. Bereits nach ein paar Tagen kann man mit Hilfe von Excel oder - besser natürlich den einschlägigenn OpenSource-Tabellenkalkulationsprogrammen (OpenOffice, LibreOffice und andere) - statistische Auswertungen des eigenen Verhaltens am Arbeitsplatz erstellen: Wie viel Zeit verbringe ich an einem durchschnittlichen Arbeitstag mit produktiven Tätigkeiten? Welchen Anteil meiner Arbeitszeit nimmt welche Aufgabe ein? So lässt sich zum Beispiel überprüfen, ob eine Funktion als Leiterbeauftragte oder AGG-Ansprechperson, die man ursprünglich nebenbei machen sollte, sich zu einer Halbtagsbeschäftigung auswächst. Belegt man im Arbeitstagebuch die eigene Einschätzung von Qualität und Quantität seiner Ergebnisse mit Zahlencodes, lassen sich auch diesbezüglich gute, nach Objektivität strebende Aussagen über den Erfolg der eigenen Arbeit treffen.

Auf der Grundlage einer solchen Dokumentation der Verwendung der eigenen Arbeitszeit lassen sich auch Gespräche mit Vorgesetzten über etwaige Über- oder Unterforderung seriös führen. Gute Vorgesetzte werden dafür dankbar sein. Schlechte Vorgesetzte von der Art, die sich von objetiven Daten gestört fühlen, lassen sich wiederum so enttarnen.

Nerdhalla empfiehlt allen Berufstätigen ein Arbeitstagebuch. Lasst uns mit Hilfe des Prinzips "Miss es oder vergiss es" eine besser informierte, angenehmere Arbeitswelt schaffen.



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