In der Kunst der Computerspiele ist seit 2006 der Stil der Pixel Art populär. Ist das mehr als Nostalgie? Wie lässt sich Pixel Art objektiv bewerten?
01.04.2024
Wie in so vielen Kunstformen sind auch bei Computerspielen Trendwenden zu beobachten. Eine Trendumkehr war diejenige, die 2006 den inzwischen gut etablierten Stil der „Pixel Art“ hervorgebracht hat. Wie lässt sich dieser visuelle Stil objetiv bewerten?
Der Begriff „Pixel Art“ wird in Abschnitt II definiert.
I – Die Überwindung des Pixels als technisches Problem
Die allerersten Computerspiele nutzten Medien wie Papierausdrucke, Schachbretter und Oszilloskope(!). Seit Computerspiele aber auf elektronischen Bildschirmen erschienen waren, kämpften Spieleentwickler gegen Pixel. Jeder Bildpunkt, den die jeweils neueste Hardware zur Verfügung stellen konnte, sollte genutzt werden, um Bilder möglichst scharf und lebensecht erscheinen zu lassen. Aus Treppen wurden zunehmend Geraden, aus Ecken wurden Rundungen, aus Schemen wurden klare Konturen. Die technische und künstlerische Entwicklung war beeindruckend. Zeitweise – wie beispielsweise um das Jahr 2000 herum – beeindruckte die Spielebranche ihre Kunden Jahr für Jahr mit neuen visuellen Höchstleistungen. Besonders der Markteintritt von speziellen Grafikkarten wie der legendären 3dFX Voodoo war eine Zäsur für 3D-Spiele. Aus harten Pixelmosaiken, zu denen es in Action-Rollenspielen wie „Hexen“ (1995) und „The Elder Scrolls 2“ (1996) noch keine Alternative gab, wurden in „Hexen 2“ (1997) und „The Elder Scrolls 3“ (2002) bereits weiche Farbverläufe. Mit Adventures wie „Ace Ventura“ von 1996 und „Monkey Island 3“ von 1997 zeigten die Studios, dass sie den Kunden ihrer 2D-Spiele dank neuester Hardware nun annähernd einen Grafikstil bieten konnten, den man bis dato nur von Zeichentrickfilmen aus Kino und Fernsehen kannte.
Wo die Pixel noch nicht über die Auflösung der Bildschirme praktisch unsichtbar gemacht werden konnten, ließen sich 3D-Grafik auf Polygon- oder Voxelbasis, eine breitere Farbpalette und flüssigere Animationen nutzen, um von noch sichtbaren Pixeln abzulenken und den Spielern ein realitätsnahes oder künstlerisch wertvolles Erlebnis zu bieten. Der Pixel war Mitte der 2000er-Jahre mit Spielen wie „The Elder Scrolls 4“, „Farcry“, „Crysis“ und „Bioshock“ zu einem überwundenen technischen Problem geworden. Wer damals schon mehr als zwanzig Jahre alt war und bereits etwas länger Computerspiele spielte, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal folgendes Erlebnis gehabt:
Man startet ein neues Spiel und genießt die Eingangs-Videosequenz, in der zum Beispiel der Protagonist von „Bioshock“ einen Flugzeugabsturz ins Meer erlebt und schließlich allein an der Wasseroberfläche treibt. Ab dem Punkt passiert jedoch nichts Neues mehr. Wolken und Wellen bewegen sich zwar noch, aber die Handlung geht nicht weiter. Nach einer Weile bewegt man verwirrt die Maus – um festzustellen, dass man bereits im Spiel ist und die Spielfigur steuern kann. Die ganze vermeintliche Videosequenz war bereits die Spiel-Engine! Sollte etwa das ganze Spiel so aussehen, wie man es bisher nur von den Eingangs- und Zwischenfilmen kannte? Und tatsächlich sollte es sich genau so herausstellen. In Spielwelten wie Rapture und Tamriel kam man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
II – Die Renaissance des Pixels als Pixel Art
Auch wenn es seit Mitte der 200er Jahre zunehmend schwerer wurde, Spieler mit besserer Grafik zu beeindrucken, war das Ende der Fahnenstange natürlich noch nicht erreicht. Aber neben den bis heute nicht endenden Trend des visuellen Feinschliffs ist die Pixel Art getreten – ein nicht unbedingt entgegengesetzter, aber doch ganz anderer Trend getreten. 2011 erblickte mit Version 1.0 von „Minecraft“ der vermutlich prominenteste Vertreter dieses Stils das Licht der Welt (Heaney 2023). Hier war plötzlich wieder alles eckig und pixelig, was der Popularität des Spiels keinen Abbruch getan hat. „Minecraft“ war aber nicht das erste Spiel, dass sich dieses Grafikstils bediente. Schon 2006 erschien „The Blackwell Legacy“. Hinsichtlich Spielsteuerung steht dieses Point-and-Click-Adventure in der Tradition alter humoristischer Genre-Vertreter wie „Monkey Island“ und „Simon the Sorceror“. In puncto Handlung orientiert es sich eher an düsteren Vorgängern wie „Shadow of the Comet“ und „The Lost Files of Sherlock Holmes“. Das interessante und anno 2006 noch ungewöhnliche war aber, dass die Macher von „The Blackwell Legacy“ auch visuell ihre Vorbilder aus den frühen 1990er Jahren nachahmten: Die Grafik ist so pixelig, dass sich Details von Gegenständen und Figuren oft nur erahnen lassen.
Erst ab diesem Zeitpunkt ist es sinnvoll, von Pixel Art als eigenständiger Unterform der digitalen Kunst zu sprechen. Vorher war aufgrund der technischen Limitationen jede am Computer erzeugte Kunst sichtbar pixelig, also quasi „Pixel Art“. Dies war keine künstlerische Entscheidung, sondern ein Zwang des Mediums – so wie auch Fotografie und Malerei Grenzen dessen, was sie darstellen können, haben. Seit die Computerbildschirme so hochauflösend sind, dass das menschliche Auge einzelne Pixel kaum noch wahrnehmen kann, ist Pixel Art das, was wir heute kennen: eine Form der Darstellung, die – ähnlich wie heute die Schwarz-Weiß-Fotografie – aufgrund bewusster Entscheidungen der Künstler gezielt auf bestimmte Möglichkeiten des Mediums verzichet.
Seitdem 2006 reihen sich viele Spiele in die neue Tradition der Pixel-Art-Adventure ein: „Born Punk“, „Virtuaverse“, „Gemini Rue“, „Resonance“, „Unavowed“, „Thimbleweed Park“, „Primordia“, „Powers in the Basement“, „Foxtail“, „Lamplight City“, „Darkside Detective“, „Order of the Thorne“, „Technobabylon“ und „Guard Duty“, um nur ein paar zu nennen.
Die Verwendung von Pixel Art bleibt dabei nicht auf das Adventure-Genre beschränkt. Shooter wie „Hedon“ und „Viscerafest“, Puzzlespiele wie „Escape Goat“ und „In the Shadows“, Rollenspiele wie „Quest for Infamy“ und „Heroine’s Quest“, klassische Jump-and-Run-Spiele wie „Slain“ und „Huntdown“, Metroidvania-Titel wie „Dead Cells“ und „Rogue Legacy“, Genre-Crossovers wie „The Captain“ und „Dreams in the Witch House“ – sie alle verwandeln den Pixel vom technischen Problem in ein ästhetisches Feature.
III – Gründe für Pixel Art
Warum tun Spieleentwickler das? Die Frage nach dem „Warum“ drängt sich geradezu auf, wenn man einen weiteren – wenn auch deutlich kleineren – Trend berücksichtigt: Manche Macher erfolgreicher Pixel-Art-Spiele wenden diesem Stil relativ schnell wieder den Rücken zu oder relativieren ihn zumindest stark. So ist der Metroidvania-Titel „Rogue Legacy“ in zweckmäßig wirkender Pixelgrafik gehalten und verzichtet praktisch völlig auf moderne Lichteffekte. Der zweite Teil erstrahlt dagegen in gestochen scharfem Cartoon-Stil, der Rüstungen und Schwerter im warmen Orange von Fackeln und magischem Blau von Energiekristallen glänzen lässt. Ähnlich verhält es sich bei der vierteiligen – den ersten Teil für den Gamboy Colour nicht mitgezählt – Jump-and-Run-Serie „Shantae“, die im dritten Teil von Pixel Art auf aufwendigen Zeichentrick-Stil umstellt. Im Falle von „Alwa’s Awakening“ bleiben die Macher für den zweiten Teil „Alwa’s Legacy“ zwar bei Pixel Art, setzen aber eine deutlich höhere Auflösung und eine größere Farbpalette ein. Auch das Puzzlespiel „Escape Goat“ bedient sich des Retro-Pixel-Looks. „Escape Goat 2“ dagegen setzt auf eine deutlich weichere Grafik.
In den 1990er und frühen 2000er Jahren war die Verbesserung der Grafik von seinem Serienteil auf den nächsten eine durch den Stand der Hardwaretechnik bedingte Anstrengung: Zur Freude der Spieler wurden Lara Crofts Kurven von einem „Tomb Raider“-Teil auf den nächsten immer ansehnlicher – wenn auch nicht unbedingt realistischer. Gesichtsanimationen wurden von einem Teil der „The Elder Scrolls“-Reihe immer lebhafter. Die Landschaften und das Meer wurden in der „Anno“-Reihe immer atemberaubender. Die „Indiana Jones“-Spieleserie von Lucasarts verbesserte nicht nur die Grafik von Teil zu Teil, sondern stieg auch von 2D- auf 3D-Grafik um. Diesen Prozess wiederholen manche Spieleentwickler nun quasi künstlich.
Warum also Pixel Art im 21. Jahrhundert – vor allem, wenn man doch nicht dabei bleibt? Geringerer Aufwand ist ein Grund, sich gegen eine 3D-Entwicklung zu entscheiden, aber nicht unbedingt ein Grund Pixel Art zum Beispiel dem Cartoon-Stil vozuziehen. In Foren für Spieler und Spieleentwickler wird zwar mitunter die Ansicht geäußert, Pixel Art sei einfacher zu machen als Cartoon- oder Gemäldestil. Letztendlich sind aber alle Stile immer so anspruchsvoll wie der eigene Anspruch. Man kann auch mit hochauflösender Grafik ein Spiel in einfachem Stil machen, wie der Youtuber Nonsensical 2D erläutert (Nonsensical 2D 2023). Diese Einsicht mag auch ein Grund für die Abkehr von Pixel Art sein, die Manche vollziehen.
Aus Entwicklersicht gibt es mehrere naheliegende Erklärungen: Erstens mögen gerade manche Erst-Entwickler Pixel Art als einfach einschätzen. Zweitens ist es für engagierte Profis jedweder Zunft spannend, die Arbeit vergangener Zeiten, als die Werkzeuge noch primitiver waren, nachzuvollziehen. Drittens ist es eine ganz andere kreative Herausforderung, einer Figur lebhafte Gestik und Mimik zu verleihen, wenn sie nicht mit Technik wie einer Unreal-Enginge gemacht ist, sondern lediglich aus einer mit bloßem Auge abzählbaren Anzahl von Pixeln besteht. Pixel Art zu kreieren wurde schon mit dem Spaß des Spielens mit Legosteinen gleichgesetzt (vgl. Kiwi). Viertens kann man sich selbst und anderen die Botschaft vermitteln: Unser Spiel hat soviel Tiefgang, es braucht nicht einmal gute Grafik. Fünftens war Pixel Art ab dem Zeitpunkt, als sie sich offensichtlich gut verkaufte, eine betriebswirtschaftlich vernünftige Entscheidung. Und sechstens dürften viele ältere Entwickler auf geradezu natürlichem Wege irgendwann auf die nostalgische Idee kommen: Lasst uns doch mal wieder ein Spiel wie früher machen!
Die Adventure-Ikone Ron Gilbert selbst hat zu seinem Spiel „Thimbleweed Park“ von 2017 erklärt, dass so sein sollte, wie Spieler jenseits der Vierzig sich an die Spiele ihrer Jugend erinnern. Die Erinnerung ist hier der springende Punkt: Die Grafik von „Thimbleweed Park“ sollte laut Gilbert nicht so rudimentär aussehen, wie sie in den späten 1980er Jahren wirklich war. Stattdessen sollte sie so aussehen wie in der verklärenden Erinnerung der Spieler, wo den damaligen Spielen fehlende Dinge wie dynamisches Licht und Scrolling schlicht hinzugedichtet wurden. (Ron Gilbert 2017 ab Minute 20:50)
Was nun die Kunden betrifft, ist der Erfolg von Pixel Art etwas schwerer zu erklären. Das Nostalgie-Argument greift sicher auch hier. Tatsächlich sind viele Pixel-Art-Spiele so, wie von Ron Gilbert beschrieben: Sie erinnern durch die künstlich gering gehaltene Auflösung an Spiele der späten 1980er und frühen 1990er Jahre, verschönern das Gesamterlebnis aber massiv durch ein feineres Farbspektrum, flüssigere Animationen, moderne Lichteffekte und eine hochwertige Klangkulisse aus Stimmen, Soundeffekten und Musik auf Filmniveau. Sicherlich gibt es viele Spieler, die heute zwischen vierzig und sechzig sind und denen die Art von Spielen aus ihrer Jugend und jungen Erwachsenenzeit besonders ans Herz gewachsen sind. Was man in prägenden jungen Jahren erlebt hat, erscheint oft angenehm vertraut und weckt andere schöne Erinnerungen. Gleichzeitig erkennt man Vieles wieder und kann sich ob des eigenen Wissens als alter Hase fühlen. Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Manche älteren Spieler kritisieren den Rückfall in eigentlich überwundene Zustände, wie zum Beispiel Steam-Nutzer „Hyperion Biga“ in einem Forumsbeitrag:
„I started gaming in the 80's with Commodore 64, and pixel graphics were fine then, but it's not like we thought they are awesome, it was just the best we could get. When we finally got better resolution with Commodore Amiga, nobody missed crappy pixel graphics in decades.
Why so many people think they are suddenly "cool"? Who sold us this idea? I, for one, never bought it. Maybe because I lived that crappy period of every game looking like this. And I don't miss it. Simple and fun games yes, but not the pixel graphics.“ (Hyperion Biga 2016)
Sind Alt-Gamer, und darunter auch nur die Nostalgiker, womöglich die einzige relevante Kundengruppe für Pixel-Art? Denn welche andere Motivation sollte man als Spieler haben, die absichtlich verpixelte Grafik eines Weltraumabenteuers wie „Between Horizons“ zu wählen, wenn man stattdessen ein Weltraumabenteuer mit filmreifer Grafik wie „Mass Effect“ erleben kann? Warum sollte man sich mit einer mittelalterlichen Fantasy-Welt in geradezu unbeholfen wirkendem Pixel-Look wie „Fates of Ort“ zufrieden geben, wenn es mehr als genug hübsche Fantasy-RPGs wie „Divinity Original Sin“ gibt?
Eine sehr simple Motivation können die Kosten von Pixel-Art-Spielen sein: Sowohl ihr Preis als auch ihre Systemanforderungen sind allgemein niedriger als die von Spielen mit moderner 3D-Grafik und hochauflösenden Texturen. So ist beispielsweise die Installationsdatei von „The Blackwell Legacy“ nur 237 MB groß. Die Systemanforderungen werden von Good Old Games als 1 GHz Rechenleistung und 256 MB Arbeitsspeicher angegeben. Allerdings reicht derart einfache Hardware nur für Spiele, die Pixel Art sozusagen konsequent anwenden. Werden dagegen auch 3D-Grafikelemente und moderne Lichteffekte eingesetzt, wird schnell ein einigermaßen moderner Gaming-PC nötig. So empfiehlt Good Old Games für das Pixel-Art-Spiel „Three Minutes to Eight“ einen 3 GHz-Prozessor, 16 GB RAM und eine Nvidia GeForce GTX 1060. Wer sich unter diesem Gesichtspunkt gezielt bei Pixel-Art-Spielen umsieht, kann in der Tat viel Geld für Gaming-Hardware und auch für die Spiele selbst sparen. Andererseits haben gerade im Genre der Point-and-Click-Adventure auch viele älterer Spiele mit scharfer Cartoon-Grafik oder einem Mix aus 3D-Figuren und gerenderten Hintergründen nur Systemanforderung, für die ein heutiger Bürocomputer ausreicht. Pixel-Art-Spiele sind also eines von mehreren Marktsegmenten, in denen Spieler mit geringem Budget fündig werden können.
Abseits von Nostalgie ist Pixel Art auch einfach ein Kunstgeschmack. Auch andere Kunstformen arbeiten mit Unschärfe und Andeutungen. Gerade in der Periode der Romantik des 19. und 20. Jahrhunderts ließen Künstler in ihren Werken gezielt Dinge im Unklaren, verringerten Kontraste und wendeten sich dem Übernatürlichen zu (Schmitz 2019). Der ikonische Romantik-Maler Caspar David Friedrich stellte viele Szenen in Nebel und Dämmerung dar. Sein englischer Zeitgenosse William Turner lies Szenen teilweise bis an die Grenze des Abstrakten verschwimmen. Literaten in der ganzen westlichen Welt mühten sich ab, über Gefühle zu schreiben, an denen die Sprache versagt, und über Wissen, das womöglich den menschlichen Verstand übersteigt: Richard Beer-Hoffmann lässt in seinem Roman „Der Tod Georgs“ die Hauptfigur am Rande der Gesellschaft ergebnislos über Glück und Zugehörigkeit sinnieren. (Beer-Hoffmann 1900, Kapitel 1) Edgar Allan Poe lässt vermutlich am prominentesten in seiner Kurzgeschichte „The Fall of the House of Usher“ alles Eins werden: eine dunkle, neblige Herbstlandschaft, ein baufälliges altes Herrenhaus, neurotische Charaktere und eine Geschichte in der Geschichte (Poe 1839, S. 231-245). H. P. Lovecraft – bekennender Poe-Fan und Wegbereiter moderner Horror-Fiktion – schließlich erging sich in seinen Gruselgeschichten bis an die Grenze zur Albernheit in Andeutungen eines unaussprechlichen kosmischen Schreckens – so zum Beispiel in der Anekdote „The Unnamable“ (Lovecraft 1925).
In manchen Pixel-Art-Spielen entstehen Andeutungen und inhaltliche Unschärfe über die geringe Auflösung. Das humoristische Mysterie-Spiel „The Darkside Detective“ arbeitet mit künstlichen Pixeln, die in ihrer Größe fast an Legosteine erinnern. Auf Gesichter wird für die menschlichen Figuren komplett verzichtet. Die Charaktere bleiben so auf den ersten Blick sehr stereotyp, was vermutlich keine zufällige Entscheidung der Designer ist: Den desillusionierten Kriminalpolizisten kann sowieso nichts aus der Ruhe bringen – wozu braucht er da Gesichtszüge? Was er, sein Pflichtvergessener Partner, dessen Familie, ein paar Pfadfinder und die anderen Charaktere im Spiel an Emotionen durchleben, wird über unvertonten Text vermittelt. Hier entsteht konsequent der Eindruck, dass diese Abenteuer nach dem Vorbild der „X-Files“ nur Spaß sind. Ganz anders in „Primordia“. Dieses Spiel nutzt zwar kleinere Pixel als „The Darkside Detective“, der Zeichenstil ist aber so detailliert und surreal zugleich und die Farbkontraste sind so gering, dass man sich als Spieler immer wieder fragen muss, was für Räume, Gegenstände und Figuren man eigentlich vor sich hat. Das kann mitunter etwas lästig werden, ist aber gewiss auch keine Unbedachtheit der Entwickler; denn es passt perfekt zur Geschichte: Der Protagonist ist ein eigenbrötlerischer, durch partielle Amnesie desorientierter Roboter, der widerwillig sein zurückgezogenes Leben in der Wüste aufgeben und sich mit der totalitären Gesellschaft einer Robotor-Metropole auseinandersetzen muss, was zu allem Überfluss einen Religionskonflikt zwischen Robotern zur Folge hat. Die Existenz der Roboter in dieser menschenleeren Welt ist so grotesk und undurchschaubar wie der Pixel-Art-Stil. Auch im Adventure „Kathy Rain“ passt die Unschärfe der Pixel Art zum psychologischen Horror einer Geschichte, in der die Realität immer fragwürdiger wird.
Außerdem gilt: Je weniger bildlich dargestellt wird, desto mehr bleibt der Vorstellung überlassen. Wenn die blutigen Klauen eines Monsters, der goldene Glanz eines Schatzes oder die prallen Muskeln eines Barbaren durch wenige Pixel geschickt angedeutet werden, mag das Gehirn mancher fantasievoller Spielerin die Details wirksamer hinzudichten, als jede moderne Grafik-Engine es leisten könnte.
Solche gelungenen Beispiele bedeuten aber nicht, dass Pixel Art nötig wäre, um die genannten Effekte zu erzielen. Auch deutlich schärfere 2D- und 3D-Stile können wahlweise märchenhafte Romantik, modernes Mystery-Flair, Lovecraft’schen Horror, groteske Zukunftsszenarien, Humor und vieles mehr erfolgreich transportieren. Spiele wie „Trine“, „Slender Threads“, „Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth“, „Beautiful Desolation“, „Deponia“ und viele mehr zeugen davon.
Es deutet auch nicht viel darauf hin, dass Pixel-Art-Spiele hinsichtlich Story oder Spielkonzept besser wären als Spiele mit anderen Grafik-Stilen. Eine – eher spielerische und keinesfalls belastbare – statistische Analsye subjektiver Bewertungen von 90 Spielen, 45 davon Pixel Art, hat ergeben, dass 75 Prozent der Pixel-Art-Titel als sehr gut hinsichtlich Story, Konzept oder beidem bewertet werden. Von den anderen Titeln sind dies 67 Prozent. Dieser Unterschied von 8 Prozent bei einer so geringen Fallzahl ist bestenfalls schwach signifikant.
Neben Nostalgie ist also kaum ein objektives Argument dafür, dass Pixel-Art-Titel gekauft werden, erkennbar. Auch Sergio Paez kommt in seiner Masterarbeit „A Visual Renegade: A phenomenological and aesthetical examination of pixel art“ zu dem Eindruck, dass Nostalgie zumindest für ältere Spieler einen großen Teil des Reizes von Pixel-Art-Spielen ausmacht. Grundlage dafür ist eine Befragung mit circa 80 Teilnehmern. Natürlich ändert das nichts daran, dass es eine Reihe von Entwicklern und Spielern gibt, die diesen Stil schlicht mögen – so wie es Menschen gibt, die bestimmte Malerei- oder Musikstile mögen. Auch Jüngere haben im Rahmen der Befragung für Paez’ Arbeit angegeben, sie fänden Pixel Art ansprechend. (Paez 2022, S. 83)
IV – Zusammenfassung: Was sich über Pixel Art konkret sagen lässt
Kunst lässt sich im Falle von Computerspielen so schwer objektiv beurteilen wie in jeder anderen Kunstform. Fernab dem zwecklosen Versuch, Pixel Art als „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen, lassen sich aus den vorangegangenen Überlegungen trotzdem sowohl objektiv beschreibenden als auch konkret normative Aussagen ableiten: