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Die Statistik von Missgeschicken

Hat die Welt sich gegen dich verschworen oder sind schlechte Tage nur Zufall? Und was kannst du tun, um den Zufall in deinem Sinne zu beeinflussen?

09.08.2024

Hast du manchmal das Gefühl, die Welt habe sich gegen dich verschworen? Falls ja, hast du damit gewissermaßen sogar Recht. Warum das so ist und warum du deshalb trotzdem nicht verzweifeln solltest, erklärt sich mit Rückgriff auf Wahrscheinlichkeiten und großen Zahlen. Das sind die Dinge, mit denen die Wissenschaft der Statistik sich beschäftigt.

Wenn du also an manchen Tagen den Eindruck hast, dass Alles schiefginge, dann fragst du dich vielleicht, wie wahrscheinlich so etwas ist. "Erst kleckere ich mir den Morgenkaffee über mein frisches Hemd, dann verlege ich meine Schlüssel und komme deshalb zu spät zur Arbeit und dann lösche ich noch aus Versehen eine Präsentation und muss verzweifelt jemanden in der IT finden, der sie wiederherstellt, anstatt mich vernünftig auf das wichtigste Meeting des Monats vorzubereiten. Soviel Pech ist doch kein Zufall. Die Welt muss sich gegen mich verschworen haben!", fluchst du. Und dabei hast du Recht - und auch wieder nicht. Es ist ein bisschen kompliziert, aber nicht so kompliziert wie deine Beziehung zu deiner feministischen Cousine (oder zu deinem reaktionären Onkel oder an wen auch immer du bei "kompliziert" denkst):

Erstens: Du hast insofern Recht, wenn du meinst, soviel Pech könne kein Zufall sein. Vermutlich ist es auch kein Zufall, sondern hängt alles mit dem ersten Missgeschick des Tages, dem verschütteten Kaffee zusammen. Der hat dich geärgert und dich unter Zeitdruck gebracht. Deshalb warst du abgelenkt und hast besonders lange gebraucht, deine Schlüssel zu finden, was zu noch mehr Zeitdruck geführt hat. Mit dieser schlechten Laune und dieser Hektik bist du bei der Arbeit angekommen und warst besonders unkonzentriert - wer könnte es dir verübeln? Ohne diesen schlechten Start hättest du die Präsentation vermutlich gar nicht aus Versehen gelöscht. Und ohne das hättest du dich wie geplant auf das wichtige Meeting vorbereiten können. Also, wie du schon sagtest: Soviel Pech war kein Zufall, sondern eine Kette von lose zusammenhängenden Ursachen und Wirkungen.

Das bedeutet, dass du an solchen Tagen mit der richtigen Einstellung noch das Ruder herumreißen kannst: Wenn gleich am frühen Morgen etwas schiefgeht, kannst du tief durchatmen, dir sagen, dass sowas in den besten Familien vorkommt, und dann ganz unverkrampft weitermachen. Dann verläuft der Tag vermutlich besser. Und das, obwohl die Welt sich - statistisch gesehen - gegen dich verschworen hat. Keine Panik, es ist viel harmloser, als du denkst. Es wird hier angenommen, dass in der Welt keine Götter, Dämonen oder Naturgeister walten, die dir Böses wollen. Falls doch, dann ist das eher ein Fall für Priester und Schamaninnen und nicht für Statistiker. Also, von möglichen übersinnlichen Ursachen mal abgesehen hat sich die Welt insofern gegen dich verschworen, weil es viel mehr mögliche Ereignisse gibt, die dich ärgern, als solche, die dich freuen. Sehen wir uns dieses Verhältnis genauer an:

Es gibt nahezu unendlich viele Dinge, die jeden Moment passieren können. Nur eine kleine Anzahl davon hat direkte Auswirkungen auf dich, aber selbst diese Zahl ist noch enorm. Wenn du zum Beispiel deinen Kaffeebecher in der Hand hältst, musst du den vollen Becher so halten, dass sein Boden etwa parallel zum Fußboden deiner Wohnung liegt. Abweichungen von bis zu zehn Grad gehen noch gut. Größere Neigungen sorgen für Geklecker. Und dies gilt nur, wenn du ordentlich am Esstisch sitzt oder ruhig in der Küche (oder irgendwo anders) stehst. Falls du zum Beispiel schon ein Telefon am Ohr hast und mit dem vollen Kaffeebecher auf das Gespräch konzentriert durch die Wohnung tigerst - dann schützt dich auch ein gerade gehaltener Becher nicht mehr. Stell dir zum Beispiel vor, deine Geprächspartnerin, eine Kollegin, würde dir etwas sagen wie "Der Chef hat das für nächste Woche geplante Gespräch auf heute nachmittag verlegt." Dann würdest du schockiert abrupt stehenbleiben, weil du für heute nachmittag etwas ganz anderes geplant hattest. Bist du eben noch mit circa 2 km/h durch deine Wohnung getigert, bremst du nun innerhalb von Sekundenbruchteilen auf 0 km/h ab. Wegen der Trägheit der Masse, der Fliehkräfte und ähnlicher Physik bewegt sich der Kaffe in deinem Becher aber noch weiter, schwappt ungebremst über den Rand und befindet sich nun in freiem Fall auf deinen schönen Teppich zu. Du bemerkst deinen Fehler, versuchst noch etwas zu retten und deine Becherhand zuckt reflexiv zurück in Richtung deines Körpers. Und so landet der nächste Kaffeespritzer auf deinem Hemd. Wie diese Geschichte weitergeht, ist dir schon bekannt.

Der springende Punkt ist hier, dass du dich in einem ziemlich schmalen Korridor aus Ereignissen und Verhaltensweisen bewegen musst, damit der Kaffee da bleibt, wo du ihn haben möchtest: im Becher. Wenn du hektische Bewegungen machst oder den Kaffeebecher ein bisschen zu stark anwinkelst, gibt es die unerwünschte Schweinerei. Um einen Teil dieser Situation sogar in ganz klaren Zahlen auszudrücken: Du kannst dein Handgelenk samt Unterarm um 180 Grad drehen. Von der typischen Kaffeehalteposition aus geht es 90 Grad nach links und 90 Grad nach rechts. Davon sind nach links und rechts mit dem vollen Kaffeebecher wie gesagt nur jeweils 10 Grad erlaubt, wenn du nichts verschütten willst. Also beträgt der akzeptable Winkel insgesamt nur 20 von 180 Grad, also 20/180, also 1/9. Das Risiko, den Kaffee zu verschütten, ist nur mit Blick auf deine Kaffeehand also neunmal so hoch wie die Chance, dass du deinen Kaffee ohne Kleckerei genießt.

So geht es weiter durch den Tag. In jedem Moment hast du eine mehr oder weniger klare Vorstellung davon, was du dir wünschst. Je klarer dein Wunsch ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er eintritt. Wenn du dir zum Beispiel einen Julitag in Wiesbaden mit wolkenlos blauem Himmel, einer leichten Brise aus Südwest und 24 Grad Lufttemperatur wünschst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, höchstens 1/264. Wieso diese Zahl? Nun, nehmen wir an, dass es im Juli in Wiesbaden immer mindestens 20 und maximal 30 Grad warm sei. Nehmen wir weiter an, dass der Wind aus 8 Himmelsrichtungen (Nord, Nordost, Ost, Südost, Süd, Südwest, West und Nordwest) kommen könne. Und nehmen wir schließlich 3 Arten von Bewölkung an: wolkenlos, teilweise bewölkt und komplett bewölkt. Dann ergeben sich 11 verschiedene Temperaturen, Wind aus 8 Himmelsrichtungen und 3 Bewölkungstypen, also 11*8*3 = 264 verschiedene Wettertypen. Und das ist noch massiv untertrieben, da der Wind kaum jemals exakt aus Südwest kommt, die Wiesbadener Luftemperartur im Juli auch mal unter 20 oder über 30 Grad liegen und der Himmel natürlich unendlich verschiedene Arten und Dichten von Bewölkung aufweisen kann. Und dann ist da noch die Frage, was du unter einer "leichten Brise" verstehst. Wenn du dir deinen Julitag in Wiesbaden dagegen etwas unkonkreter "mit warmen Wetter ohne Regen" wünschst, ist die Wahrscheinlichkeit dafür viel größer.

Oder kommen wir wieder zur hypothetischen Geschichte des schlechten Tages, der mit verschüttetem Kaffee beginnt, zurück: Im Büro angekommen möchtest du deine Präsentation öffnen und sie dir genau einprägen, um dich auf eine wichtige Besprechung vorzubereiten. Du willst also genau diese eine Datei auf deinem Computer finden, öffnen und ansehen. Das ist eine einzige Aktionskette, die zu einem einzigen Ergebnis führen soll, das du dir wünschst. Auf dem Weg dahin kann soviel schiefgehen, soviele technische und menschliche Fehler können auftreten (Stromausfall, kaputter Laptop-Akku, Netzwerkfehler, fehlerhaftes Windows-Update, dein versehentliches Löschen der Datei und, und, und...), dass schon wieder eine erstaunlich geringe Erfolgschance besteht.

Die Welt hat sich also statistisch gesehen gegen dich verschworen, weil es immer viel mehr mögliche Ereignisse gibt, die du dir nicht wünschst, als solche, die du dir wünschst. Und frustrierenderweise wird die Chance, deinen Wunsch zu bekommen, umso geringer, je konkreter dein Wunsch ist.

Ist das nun ein Grund zu verzweifeln? Gewiss nicht; denn im echten Leben gibt es etwas noch Wichtigeres als Statistik - und das ist: Haltung! Die Erkenntnis, dass die Chancen im Leben jeden Tag für deinen Erfolg so schlecht stehen, kannst du als Grund nehmen, um dich auch über normale Tage zu freuen. Du bist vielleicht nicht befördert geworden, hast deinen Traummann nicht gefunden und auch nicht die beste Pizza deines Lebens gegessen - aber du bist (hoffentlich) ohne lebensbedrohliche Probleme durch den Tag gekommen und kannst jetzt immerhin diesen Artikel lesen. Das ist doch schonmal was. Und morgen wartet ein neuer Tag voll neuer Chancen! Und außerdem sind Tage, an denen anscheinend alles schiefgeht, kein Beweis dafür, dass die Welt, das Schicksal, das Universum, Gott, Teufel oder irgendeine bewusste Macht dir etwas Böses will. Die Welt hat sich (nach allem, was wir wissen) nicht wirklich gegen dich verschworen - sondern es waltet hier einfach nur der Zufall, der es in keiner Weise persönlich meint.

Natürlich muss ein guter oder ein schlechter Verlauf deines Lebens keineswegs nur Zufall sein. Im Gegenteil: Je länger der Zeitabschnitt, den du betrachtest, wird, desto mehr kannst du den Zufall zurückdrängen und selbst die Regie übernehmen. Wenn du beispielsweise im Alter von 50 Jahren schon Arthrose, Bluthochdruck und Diabetes hast, ist das vermutlich auf einen jahrzehntelangen ungesunden Lebenswandel zurückzuführen. Leider muss man es so sagen: Dafür trägst du selbst einen Teil der Verantwortung. Möhren, Mineralwasser und flotte Spaziergänge sind einfach gesünder als Kartoffelchips, Bier und lange Fernsehabende. Und falls du seit Jahren keinen akzeptabel bezahlten Job findest, könnte das zwar Zufall sein - es könnte aber auch daran liegen, dass du die Schule ständig geschwänzt, die Ausbildung abgebrochen und nie nach Hilfe gefragt hast.

Hierin liegt eine weitere gute Nachricht: Durch deine Handlungen änderst du dich selbst und die Welt um dich herum immer ein kleines bisschen. Damit änderst du die Umstände und somit auch die Wahrscheinlichkeiten für die Dinge, die passieren können. Bei gesunder Lebensweise ist die Wahrscheinlichkeit, Diabetes zu entwickeln, geringer als wenn die tägliche Kost aus Fertiggerichten und Faulenzen besteht. So hat eine Untersuchung gezeigt, dass eine Verdopplung der Schrittzahl von 4.000 auf 8.000 pro Tag nach 10 Jahren das Sterberisiko der Probanden halbiert hat (siehe NDR: "Spazieren gehen: So gesund ist tägliche Bewegung" [externer Link]). Und - zurück zur Geschichte von verlorenen Schlüsseln und gelöschten Präsentationen - wer mit eigenen Fehlern bewusst umgeht und es trainiert, Ruhe zu bewahren, riskiert langfristig weniger Fehler als derjenige, der immer nur nach dem Prinzip "Augen zu und durch" agiert und sich, wenn alle Stricke reißen, der eigenen Panik hingibt. Trotzdem bleibt das statistisch betrachtet hohe Risiko kleinerer und leider auch größerer Missgeschicke im Alltag hoch und du kannst relativ wenig dagegen tun. Deine langfristigen Lebenschancen kanst du aber, wie gesagt, stark beeinflussen. Und das gilt nicht nur für deine Gesundheit. Wenn du zum Beispiel reich werden möchtest, kannst du deine Chancen deutlich erhöhen, wenn du dir Mühe gibtst, reiche Leute kennenzulernen. Anstatt in einer Plattenbausiedlung auf der Bank zu sitzen könntest du zum Beispiel mit dem Fahrrad in eine wohlhabende Gegend deiner Stadt fahren und dort spazieren gehen. Oder deine Freizeit nicht beim Minigolf sondern im Kunstmuseum verbringen. Das wären nur kleine Maßnahmen ohne Erfolgsgarantie, aber über längere Zeit erhöst du eben die Wahrscheinlichkeit, dass deine Wünsche wahr werden. Deshalb schwören auch so viele Berater und Influencer auf "hard work and consistency", also Fleiß und Durchhaltevermögen. Wer seine eigenen Gedanken auf Ziele und Wege zu diesen Zielen ausrichtet, richtet nach einer Weile auch das Verhalten entsprechend aus. Der eigene Körper, die eigene Wohnung, das soziale Umfeld und der Beruf werden sich nach und nach auch entsprechend ausrichten - Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion und so... - und damit wird es Tag für Tag ein bisschen wahrscheinlicher, dass die Dinge passieren, die du dir wünschst. Der Zufall wird weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Aber jetzt hast du zumindest die Gewissheit, dass die vermeintliche "Verschwörung" der Welt gegen dich nur der Zufall ist, der für Alle gleichermaßen gilt.



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