Der Herbst eignet sich für Fantasie-Eskapaden und kindliche Träumereien. Er eignet sich aber auch für die wahre Magie: Wissenschaft.
24.10.2024
Die Tage werden kürzer, die Sonne steht tiefer und die Blätter der Bäume leuchten in verschiedenen Farben. Bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit kann man Nebel aus den Feldern aufsteigen sehen und die Luft riecht erdig. Es ist wieder Herbst. Eine Welt, die im dunkler werdenden Zwielicht verharrt, gibt der Fantasie viel Raum. Dies ist eine gute Zeit, um sich wieder in Mythenwelten von Elfen und Zauberern zu versetzen - Bücher von Tolkien und Pratchett wieder hervorzuholen oder zu versuchen, alte Fantasy-Klassiker wie "Simon the Sorcerer" oder "Hexen" wieder auf dem Computer zum Laufen zu bringen.
Auf Herbstspaziergängen können wir uns der romantischen Hoffnung hingeben, eines Tages unter einem Fliegenpilz doch noch ein Völkchen von Feen zu entdecken. Aber wir können auch auf den anderen Teil unserer Nerdherzen hören und uns ehrlich sagen, dass das extrem unwahrscheinlich ist. Deutlich wahrscheinlicher ist es dagegen, dass wir auf dem Weg der wahren, realen Magie Erfolge erzielen: auf dem Weg der Wissenschaft.
So viele Dinge, die vor ein paar Jahrhunderten oder sogar Jahrzehnten noch wie pure Magie klangen, sind heute dank der unermüdlichen Arbeit von Wissenschaftlerinnen Realität: Menschen können fliegen - zwar bisher nur in teuren, sperrigen Flugmaschinen, aber Düsenrucksäcke und Schwebebretter sind schon in Arbeit. Gezielt und mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit schwanger zu werden oder gerade nicht schwanger zu werden, wäre im vorletzten Jahrhundert noch ein leeres Versprechen von Scharlatanen gewesen. Heute macht die moderne Medizin es möglich. Wo man früher vielleicht mancher Hexe eine magische Sicht zutraute, können wir heute wirklich mithilfe von Röntgenstrahlen und Ultraschall durch solide Materie hindurchblicken. Und waren Palantire noch Fiktion, als Tolkien seine Bücher schrieb, ist es heute ganz gewöhnliche Schreibstubentechnik, die uns per Videokonferenz rund um die Welt sehen und hören lässt.
Natürlich sind Wissenschaft und moderne Technik deutlich profaner als das romantische Bild von Magie, das wir heute aus Büchern, Filmen und Computerspielen des Fantasy-Genres (inklusive Goethes "Faust") haben: Der Nachtwächter sieht im gelblichen Schein von Laternen in verwinkelten Gassen nach dem Rechten, während auf dem Schreibtisch des Erzmagiers blau leuchtende Kristalle das nötige Licht spenden und in der Hexenhütte vor dem Stadttor eine grünliche, viskose Flüssigkeit im Kessel blubbert. Über allem scheint der silberne Vollmond, der von Wölfen angeheult wird.
So schön diese Vorstellung auch ist: Der Fortschritt steckte in Wirklichkeit schon immer in langen Listen, großen Tabellen, peniblen Experimenten und fleißigem Handwerk. Und dazu passen Tageslicht oder langweilige helle Lampen am besten. Mit klarem Blick erzielen wir als Tüftler unsere besten Resultate, machen wir als Profi- oder Amateurwissenschaftlerinnen unsere besten Beobachtungen. Ob es einige Zeilen nützlicher OpenSource-Code sind oder erkenntnisreiche Auswertungen gesellschaftlicher Daten oder Umweltschutzprojekte: Wir Nerds sind immer an der Fortschritts-Frontier - auch im Herbst.
Aber mehr noch oder zumindest anders als den Sommer können wir den Herbst nutzen, um uns zusätzlich zu motivieren. Wenn die LED-Deckenstrahler, die plastiküberzogenen Tischplatten und die Pressholzregale doch einmal aufs Gemüt drücken, können wir uns mit einem kurzen Spaziergang im Herbstwetter besonders überzeugend - vielleicht auch mit ein bisschen kindlicher Bockigkeit - sagen: Wenn es magische Leuchtkristalle (ohne gefährliche Strahlung) gäbe, dann stünde einer auf meinem Schreibtisch! Wenn es Zaubertränke gäbe, dann würde ich sie in meinem Labor brauen!! Und wenn es wirklich Feen, Hexen und Zauberer gäbe - dann wären sie Nerds!!!